Wenn wir fossile Energieträger ablösen wollen, müssen wir Kompromisse schließen.

Viele Bürger in der Samtgemeinde haben einen Flyer der Interessengruppe „Erneuerbare Energie mit Verstand“ erhalten, die sich gegen Windenergieanlagen (WEA) auf unserem Gemeindegebiet positioniert, insbesondere gegen mögliche Standorte in Lüllau.

Die IG hat auch direkt an uns Grüne in Jesteburg geschrieben und uns ihre Sorgen und Befürchtungen mitgeteilt, angesichts der zu erwartenden Veränderungen im Raumordnungsplan des Landkreises Harburg.

Zur Faktenlage: Aufgrund von Gesetzesänderungen auf Bundes- und Landesebene muss der Landkreis Harburg zusätzliche Vorranggebiete für Windenergie ausweisen; bis Ende 2027 sollen es 3.051 Hektar und bis Ende 2032 sollen es 3.949 Hektar, anstelle der bisherigen 558 Hektar sein. Deshalb wird das Windenergiekonzept aus dem regionalen Raumordnungsprogramm (RROP) 2025 derzeit vom Landkreis überarbeitet.

Da wir unseren Standpunkt allen BürgerInnen der Samtgemeinde mitteilen möchten, folgt hier unsere Antwort als offener Brief für alle Interessierten zum Nachlesen:


Liebe Mitglieder der Interessengruppe EEMV,

Im Jesteburger Ortsteil Lüllau haben Sie sich als Initiative gebildet, die sich „Erneuerbare Energie mit Verstand“ nennt und sich mit möglicher Windenergie in Lüllau auseinandersetzt. Wir als Grüne in der Samtgemeinde Jesteburg begrüßen es ausdrücklich, dass sich Menschen engagieren und ihre Anliegen kommunizieren! Die Bevölkerung vor Ort muss mit einbezogen werden. Und wir Grünen meinen: Die Menschen vor Ort müssen auch am Gewinn möglicher Windenergieanlagen beteiligt werden. Wir freuen uns deshalb, mit Ihnen dazu ins Gespräch zu kommen. Mit diesem Schreiben möchten wir Ihnen gerne auf Ihre Mail vom 11. März antworten und auch gern einen persönlichen Austausch vorschlagen: Face-to-face spricht es sich noch besser, meinen wir.

Inhaltlich möchten wir wie folgt auf Ihr Schreiben antworten.

Zunächst haben Sie sich für einen Namen für Ihre Initiative entschieden, der auf den ersten Blick vermutlich auf große Zustimmung stößt: „Erneuerbare Energie“ ist angesichts der Klimakrise das Gebot der Stunde, um klimaschädliche fossile Energieträger zu ersetzen und die globale Erderwärmung einzudämmen. Und „mit Verstand“ – ja, bitte!, wer würde dazu Nein sagen?

In Ihrem Schreiben machen Sie deutlich, dass Sie sich Sorgen machen – um vom Bund geplante Flächenziele für den Ausbau von Windkraft und Zitat „gigantische Anlagen“ – und das ganz besonders bei Ihnen vor Ort, in Lüllau. Konkret benennen Sie eine vermeintlich starke Belastung von Natur und Mensch, fürchten eine Zerstörung des Landschaftsbilds, den Verlust des Erholungswerts und Lärmbelastung. In Ihrem Flyer sprechen Sie von der Zitat „Verwandlung wertvoller Landschaften und jahrhundertealte Dörfer in Industriegebiete“. Sie beschreiben Umweltzerstörung, Betriebslärm und ganz generell Zitat „enormen Schäden“. Zusammengefasst: Sie verbinden Windkraft vor Ort ausschließlich mit extrem negativen Auswirkungen.

An dieser Stelle möchten wir gerne auf einige Fakten hinweisen, auf Grundlage wissenschaftlich erhobener Daten, die ganz überwiegend gegen Ihre Befürchtungen sprechen. Richtig ist aber, dass Windenergieanlagen (WEA) ein Eingriff in die Natur sind: Mit ihrem metertiefen Fundament versiegeln sie den Boden, genau wie Straßen oder Gebäude. Allerdings wiegen sie den Schaden durch ihren enorm wichtigen Nutzen bei der Energiewende mehr als wieder auf.

Quelle: DW / NABU
  1. Tatsächlich können die Rotorblätter Fledermäuse oder Vögel erschlagen. Allerdings gefährden moderne WEA deutlich weniger Fledermäuse und Vögel als alte Anlagen – weil sie inzwischen viel höher sind und häufig mit Sensoren und Kameras ausgerüstet sind. Im Vergleich zu anderen Gefahren ist das Risiko durch WEA für Vögel relativ gering, wie nebenstehende Grafik (Quelle: NABU) belegt. Die weitaus größte Gefahr für Vögel ist demnach die industrielle Landwirtschaft.
    Umweltverbände fordern einen Ausbau der Windkraft für den Erfolg der Energiewende, und dieser Erfolg ist wesentlich für den langfristigen Erhalt der biologischen Vielfalt, so die deutschen Umweltverbände in einem Positionspapier von 2020 (https://www.germanwatch.org/de/17987).
Quelle: DW

2. Die Lärmbelastung moderner WEA fällt gering aus: Selbst bei sehr starkem Wind entspricht die Lautstärke in 250 Meter Entfernung 45 Dezibel. Das entspricht der Lautstärke eines rauschenden Waldes. In Niedersachsen ist ein Abstand zur Wohnbebauung von mindestens 2 H (zweifache Höhe des Mastes bis zur Nabe) vorgeschrieben, dh idR mindestens 400 Meter. Auszug aus dem nds. Winderenergieerlass (2021):

Quelle: Land Niedersachsen Windernergieerlass MU-52-29211/1/305

3. In Deutschland haben Windenergieanlagen eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung: 80 Prozent halten den weiteren Ausbau von Windkraft an Land für „eher wichtig“, wie eine Umfrage bereits von 2021 zeigt (https://www.windindustrie-in-deutschland.de/publikationen/aktuell/umfrage-zur-akzeptanz-der-windenergie-an-land-herbst-2021). Windanlagen in der eigenen Nachbarschaft finden 47 Prozent der Bürger in Deutschland eher gut oder sehr gut, einen Solarpark befürworten 62 Prozent, ein Atomkraftwerk jedoch nur 5 und ein Kohlekraftwerk 4 Prozent. Dabei soll eine gute Vorplanung Probleme für die Natur möglichst vermeiden, so sollten keine Anlagen in besonders wertvollen Naturschutzgebieten gebaut werden. Windkraftanlagen verändern zweifellos Landschaften. Die Türme werden immer höher, die Flügelspitzen der Rotoren erreichen bis zu 250 Meter in die Höhe. Doch das gilt auch für andere Bauten im Energiesystem: Für den Kohleabbau werden Dörfer abgerissen und Wälder abgeholzt, Schornsteine und Kühltürme von Kraftwerken ragen bis 200 Meter in die Höhe, Rauch und Wasserdampf steigen mehrere Kilometer hoch. Wir meinen deshalb: Um unseren (fossilfreien) Energiebedarf zu decken, dürfen wir nicht nur auf andere zeigen und sagen „macht ihr das mal“. Auch wir in der Samtgemeinde sind gesamtgesellschaftlich gefordert, zum Gelingen der Energiewende mit beizutragen.

In Ihrem Flyer schlagen Sie vor, mögliche Windkraftanlagen einfach an anderer Stelle im Landkreis Harburg anzusiedeln, Zitat „auf besser geeigneten Flächen“. Klingt das ein wenig nach ‚NIMBY‘, haben wir uns gefragt? Nimby bedeutet „not in my backyard“, auf Deutsch etwa „nicht hinter meinem Haus“. Mit diesem Argument könnten theoretisch fast alle Einwohnerinnen und Einwohner nicht nur unserem Landkreis argumentieren, nach dem Motto „bei mir in der Nähe ist wertvolle Natur – baut die Windenergie dahin, wo sie mich nicht stört“.  Die Energiewende funktioniert jedoch dezentral, dh an vielen Tausend Orten, um den Energiebedarf aus Erneuerbaren vor Ort zu decken. Deshalb gilt es, möglichst viele Orte zumindest zu prüfen. Wenn dann wichtige Gründe dagegensprechen, müssen sie natürlich berücksichtigt werden. Eine besonders hohe Akzeptanz für WEA gibt es zudem, wenn Bürger vor Ort mitverdienen und selbst in die Anlagen investieren können, Stichwort ‚Bürgerenergiegesellschaft‘.

Wir als Samtgemeinde und Gemeinde Jesteburg können grundsätzlich nur einen geringen Einfluss auf eine WEA-Entscheidung vor Ort nehmen, da der Landkreis die Genehmigung erteilen muss. Nach unserer Information plant der Landkreis die von ihm geforderte Ausweisung der Flächen an anderen Stellen im Landkreis und nicht in Jesteburg. Ob es der Landkreis zum jetzigen Zeitpunkt ablehnen kann, wenn ein solcher Antrag für Lüllau gestellt würde, kann nur der Landkreis beantworten.

Wichtig für uns Grüne ist der Dialog mit allen Beteiligten in unserer Samtgemeinde. Dabei gilt es nicht nur Pro und Contra abzuwägen, sondern auch uns auszutauschen und informiert zu halten. Wir finden es wichtig und richtig, dass Sie ihre Meinung äußern. Deshalb wünschen wir uns einen konstruktiven Dialog, um gemeinsam Lösungen zu entwickeln.

Wir freuen uns auf ein gemeinsames Gespräch!

Danke und viele freundliche Grüße,

für das Team der Grünen in der Samtgemeinde Jesteburg

Nathalie Boegel

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